Artists‘ Artists
3 Februar 2013 – 7 April 2013
Artists‘ Artists
3.2.2013-7.4.2013
„Artist‘s artist“ beziehungsweise „Künstler-Künstler“ ist ein in der Kunstwelt bekannter Begriff für Künstler, denen andere Kunstschaffende einen speziellen Status zuerkennen. Der Terminus „Künstler-Künstler“ bezieht sich meist auf KünstlerInnen, die – noch bevor sie kommerziellen Erfolg haben oder von Kuratoren anerkannt werden – Einfluss auf andere Kunstschaffende ausüben. Anhand einer Auswahl von KünstlerInnen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Epochen geht die Ausstellung der Frage nach, wie es dazu kommt, dass aus einem Künstler ein „Künstler-Künstler“ wird. Dabei werden auch Positionen gezeigt, die in der Schweiz weniger bekannt sind oder solche, deren Ausstrahlung vor allem lokal oder regional ist oder war.
„Künstler-Künstler“ werden von anderen Künstlerinnen und Künstlern nicht nur für ihren Individualismus und ihre Originalität bewundert, sondern auch deswegen, weil sie mit ihrer Kunst neue Wege beschreiten. Es gibt auch „Künstler-Künstler“, die erst im hohen Alter als solche erkannt werden und mit ihren Arbeiten eine ganze Generation junger Kunstschaffender geprägt haben oder noch immer prägen. Obwohl der Begriff schwer zu definieren ist, wurde er in den letzten Jahren in zahlreichen Artikeln und Publikationen aufgegriffen und thematisiert. Ein Grund dafür ist das zum Trend gewordene Streben von öffentlichen Institutionen und Galerien, vergessene oder ignorierte Künstler zu „entdecken“ und sich für diese einzusetzen. Der Terminus „Künstler-Künstler“ verlangt eher ein intuitives Verstehen dessen, was er beschreibt, als ein Anerkennen einer klar definierten Kategorie. Und genau diese Herausforderung veranlasste das Kunsthaus CentrePasquArt, eine entsprechende Themenausstellung zu konzipieren. „Künstler-Künstler“ wie Bas Jan Ader, Paul Thek oder André Cadere, welchen in renommierten Institutionen kürzlich grosse Einzelausstellungen gewidmet worden sind, sind in der Ausstellung nicht vertreten.
Die ausgewählten KünstlerInnen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie in ihren Bereichen Pionierarbeit geleistet haben. Dies gilt beispielsweise für Charlotte Posenenske (1930–1985, DE), einer Ikone des Minimalismus, die mit ihren aus industriell gefertigten Materialien geschaffenen Reliefs und Skulpturen grossen Einfluss auf die deutsche Kunst der 1970er Jahre ausübte. Auch Silvie und Chérif Defraoui (*1935/1932–1994, CH) waren Vorreiter. Mit ihren innovativen Videoarbeiten, die sich auch durch ganz neue Präsentationsformen auszeichneten, haben Silvie und Chérif Defraoui, teilweise durch ihre Lehrtätigkeit an der Genfer Kunstschule, wesentlich zur Entwicklung des noch jungen Mediums beigetragen. Ebenfalls von Genf aus wirkt der heute international bekannte John M. Armleder (*1948, CH). Sein vielfältiges Werk, das sich an der Alltagswelt orientiert, mit Ironie und Kitsch spielt und Readymade-Traditionen aufnimmt, hat die Ästhetik einer ganzen Kunstszene geprägt.
Mindestens so vielfältig ist der Amerikaner Dan Graham (*1942, US), einer der meist beachteten Künstler seiner Generation. Zu seinem Tätigkeitsbereich gehören Videokunst, Performance, Fotografie, Architektur, Rockmusik, Theater und theoretische Schriften. Dan Graham arbeitet regelmässig auch mit anderen Künstlern zusammen. So zum Beispiel mit dem kanadischen Konzeptkünstler Rodney Graham (*1949, CA), dessen präzise durchdachtes Werk, in dem Musik häufig eine tragende Rolle spielt, einen Sonderstatus unter KünstlerInnen hat.
Obwohl Ryan Gander (*1976, UK) deutlich jünger ist als die bislang erwähnten Künstler, provoziert und inspiriert er andere KünstlerInnen mit seinem multimedial ausgerichteten konzeptuellen Werk, in dem es unter anderem um das Verwischen der Grenze zwischen Fiktion und Realität geht. Auch Tomas Kratky (1961–1988, CH) und Hannah Villiger (1951–1997, CH) haben bereits in jungen Jahren Beachtliches geleistet. Beide wurden von anderen Kunstschaffenden für ihre Individualität geschätzt. Kratky beschäftigte sich in seinen Zeichnungen und Malereien vorwiegend mit existenziellen Themen wie Tod, Geburt und Spiritualität. Villiger arbeitete hauptsächlich mit dem Medium der Fotografie. Ihre zu Serien zusammengefassten Nahaufnahmen des eigenen Körpers suchen bis heute ihresgleichen. Wie Villiger befasste sich auch Helen Chadwick (1953–1996, UK) mit dem weiblichen Körper und der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Als eine der ersten veranstaltete sie entsprechende Performances und „schockierte“ das Publikum, indem sie mit organischen Materialien wie rohem Fleisch oder Schokolade Werke schuf.
Anfang der 1990er Jahre, zu einer Zeit in welcher andere künstlerische Medien präsenter waren, wurde der britische Maler Peter Doig (*1959, UK) wegen seiner atmosphärischen, rätselhaften Landschaften und seiner idiosynkratischen Farbpalette von anderen Kunstschaffenden als ein „artist’s artist“ besprochen. Peter Doig und sein Malerkolleg, Chris Ofili, waren ihrerseits beeindruckt von der direkten, ausdrucksstarken Malerei von Varda Caivano (*1971, ARG). Ofili hat Varda Caivano bereits während ihres Studiums am Royal College of Art in London gefördert und war ein erster Sammler ihrer Arbeit; gleichzeitig wurde sie von ihren Zeitgenossen als „artist‘s artist“ wahrgenommen.
Eine wichtige Figur für die Schweizer Kunstgeschichte ist der Autodidakt Jean-Frédéric Schnyder (*1945, CH), der sich um 1970 bewusst vom Kunstbetrieb distanzierte und sich fortan hauptsächlich mit einer auf den ersten Blick folkloristisch oder gar naiv-kitschig anmutenden Ölmalerei beschäftigte. Der gleichen Generation angehörend und auch sonst in gewisser Hinsicht ein Gleichgesinnter Schnyders ist der kürzlich verstorbene David Weiss (1946–2012, CH). Wie Schnyder interessierte sich auch Weiss, der noch vor seiner Zusammenarbeit mit Peter Fischli ein beachtliches Werk vor allem im Bereich Zeichnung geschaffen hatte, für Humorvolles und Alltägliches, ja Banales. Diese Hinwendung zum Unspektakulären, die von Künstlern wie Schnyder, Weiss oder auch Armleder initiiert wurde, wirkt auch heute im Schaffen jüngerer Generationen noch nach.
Kuratorin der Ausstellung: Felicity Lunn, Direktorin CentrePasquArt Biel