Uriel Orlow
1 Juli 2012 – 26 August 2012
Uriel Orlow
Time is a Place
1.7.2012-26.8.2012
Nach Auftritten im Rahmen von «Chewing The Scenery», einem der beiden Schweizer Pavillons an der Biennale in Venedig 2011, und in zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen, präsentiert Uriel Orlow (*1973) im Kunsthaus CentrePasquArt seine erste umfangreiche institutionelle Einzelausstellung. Orlows Arbeiten handeln von historischen Nebenschauplätzen und unbeachteten Ereignissen, die auf grössere geschichtliche Zusammenhänge verweisen. Der Künstler, der in Zürich aufgewachsen ist und heute in London lebt, arbeitet medienübergreifend in Video, Fotografie, Zeichnung und Ton und sucht in seinen modularen Installationen verschiedene Bild- und Erzählregime zusammenzubringen.
In der Ausstellung wird eine Auswahl von Arbeiten präsentiert, die unterschiedliche Geschichten und Orte als Ausgangspunkt nehmen und auf umfangreichen Recherchen basieren. In oft längerfristig angelegten Montage-Prozessen führt Uriel Orlow Bildmaterial aus eigenen Nachforschungen mit vor Ort gefilmten oder fotografierten Bildern in Installationen zusammen, die zwischen Imagination und Dokumentation, Fakt und Fiktion oszillieren. Dabei interessiert sich der Künstler für die Materialität von Spuren, für die Bildlichkeit von Geschichte und für mögliche Zukunftsszenarien, die sich an der Schnittstelle von Gegenwart und Vergangenheit auftun.
So untersucht Orlow beispielsweise in The Short and the Long of It (2010–2012) mittels Video, Fotografie, Text und Zeichnung die Schliessung des Suezkanals im Jahre 1967 infolge des Sechstage Krieges, die dazu führte, dass vierzehn internationale Frachtschiffe und deren Besatzungen ihre Fahrt nicht fortsetzen konnten. Während sie bis zur neuerlichen Öffnung der Seeverbindung im Jahre 1975 acht Jahre festsassen, entstand eine temporäre pan-nationale Gemeinschaft. Fotografien und Super8-Filme von ehemaligen Seeleuten werden mit Aufnahmen kombiniert, die Orlow bei der Spurensuche vor Ort zeigen. Bei The Short and the Long of It – wie auch bei den Arbeiten von Orlow im Allgemeinen – wird der zugrunde liegende Authentizitätsanspruch zur Diskussion gestellt. Der Ansatz des Künstlers verdeutlicht, dass Geschichte aus unendlich vielen Einzelfäden besteht, die nur durch bewusste Selektion und Kombination zu so etwas wie einem Gewebe erklärt werden kann.
Dieses Prinzip liegt ebenfalls dem Video-Diptychon Remnants of the Future / Plans for the Past (2009–2012) zu Grunde. Die Installation verbindet das Motiv der Zeitreise nicht nur mit dem Kollaps der Sowjetunion, sondern auch mit der Kehrseite moderner Architektur. Knotenpunkt ist dabei die doppelte (Nicht-)Existenz der Städte Musch. Im einen Musch (heute in der Türkei) fand 1915 ein Massaker an der armenischen Bevölkerung statt. Das andere Musch, nach dem ursprünglichen benannt, wurde von Michael Gorbatschow in Sowiet-Armenien in Auftrag gegeben, als letztes grosses Wohnprojekt für die Betroffenen des grossen Spitak Erdbebens von 1988. Das Auseinaderbrechen der Sowjetunion verhinderte dessen Fertigstellung. Im Mittelpunkt von Orlows Installation steht eine Videoarbeit, welche Beobachtungen und Eindrücke aus dem nicht abgeschlossenen Wohnprojekt zu einer beinahe hypnotischen Intensität verdichtet. Orlows aktuellste Arbeit Plans for the Past (2012) knüpft direkt an Remnants of the Future an und setzt die begonnene Recherche im türkischen Musch fort.
Weitere Schwerpunkte der Ausstellung bilden folgende Arbeiten: Fig. (2011), die die Geschichte der Statue von Ferdinand de Lesseps untersucht, der für die Konstruktion des Suezkanals zuständig war; Satellite Contact (2004–2005), ein Videoporträt des britischen Nationalarchivs; und die Videoprojektion 1942 Poznan (1996-2002), die ein Schwimmbad in Poznan (Polen) zeigt, welches die Nazis 1942 aus einer Synagoge gebaut hatten.
Kuratorin der Ausstellung: Felicity Lunn, Direktorin CentrePasquArt Biel
Zur Ausstellung ist im Verlag für moderne Kunst Nürnberg eine reich bebilderte Publikation (dt/fr/en) mit Textbeiträgen von Felicity Lunn (2012) und Uriel Orlow mit Andrea Thal (2012), Anna Barseghian & Mikhail Karikis (2010), Ruth Maclennan (2004–2005), Eric Jacobson (2002) erschienen.
Mit der freundlichen Unterstützung von:
George Foundation, Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung, Erna und Curt Burgauer Stiftung, Madeleine und Albert Erlanger-Wyler-Stiftung, Alfred und Ilse Stammer-Mayer Stiftung, videocompany, HG Commerciale, Lumens 8