Jeanne Jacob (*1994, lebt und arbeitet in Biel)
Rien ne me sépare de la merde qui m’entoure – Salut virginie, 2020
Öl auf Leinwand, 140 x 120 cm
Jeanne Jacob arbeitet intuitiv und spontan, sodass sich das Ergebnis während des Schaffensprozesses frei entwickeln kann. Ihr Werk, das sich durch eine unmittelbare und ehrliche Herangehensweise auszeichnet, befasst sich mit dem Körper, der Sexualität und der Geschlechterzugehörigkeit. Die Künstlerin hält dem Publikum den Spiegel vor und thematisiert ohne Umschweife verborgenste Bereiche der Intimität. Mit wohlwollender Ironie bringt sie die verdrängten Fantasien und Begierden mit all ihren Idealen und Widersprüchen zum Ausdruck. Das Werk Rien ne me sépare de la merde qui m’entoure – Salut virginie ist nach einem Text der feministischen Schriftstellerin Virginie Despentes benannt, den die Künstlerin während einem Seminar des Philosophen Paul B. Preciado im Centre Pompidou gelesen hatte. Die Veranstaltung präsentierte sich als eine kollektive und militante Reflexion über den Sturz patriarchaler und kolonialer Infrastrukturen.
Inside, 2020
Öl auf Leinwand, 110 x 140 cm
der Reiter und sein Pferd, 2020
Öl auf Malkarton, 50 x 50 cm
Selflove, 2020
Öl auf Malkarton, 40 x 30 cm
Frenchkiss, 2019
Öl auf Leinwand, 180 x 140 cm
Bouquet de fleurs, 2019
Öl auf Leinwand, 130 x 100 cm
tête dans le cul, 2019
Öl auf Malkarton, 40 x 30 cm
Jeanne Jacobs künstlerisches Schaffen umfasst hauptsächlich Malerei, Performance und Zeichnung. Ihre Arbeit ist geprägt von ihrem aktiven, politischen Engagement und dem Leben in Kollektiven, ist inspiriert von queer-feministischen Theorien sowie der zeitgenössischen Soziologie. Sie arbeitet regelmässig in Kooperation mit anderen Kunst-schaffenden. Jacob malt Menschen und Körper, die alleine bzw. zu zweit oder in kleinen Gruppen in einer alltäglichen Selbstverständlichkeit eingefangen sind. Häufig von einer unschuldig dargestellten Natur umgeben und geschützt, füllen die Figuren die Bildfläche, so dass eine unmittelbare Vertrautheit mit dem Gegenüber geschaffen wird. Sinnlich und intim, zärtlich und unzähmbar, komisch und verletzlich, befinden sie sich in einer Art Schwebezustand, in dem Ideale unterlaufen werden und Widersprüche möglich sind. Um die Bilder wirken zu lassen, muss man sich von der eckigen Schönheit der Figuren, der Ehrlichkeit ihrer Körper und deren Erinnerungen durchdringen lassen.
Für die Präsentation im Kunsthaus im Rahmen des diesjährigen Prix Kunstverein zeigt Jeanne Jacob eine Gruppe von Arbeiten aus den Jahren 2019 und 2020, die einen Einblick in die aktuellen Themen sowie in die Entwicklung der Malweise der Künstlerin gewähren. Mögliche Narrationen werden von einem Reiter und seinem Pferd, von einem leuchtenden Blumenstrauss zwischen zwei Menschen oder von einem im Schatten lauernden Wolf angedeutet. Die Ausführung reicht von einer reduzierten Palette über starke Kontraste zwischen Hell und Dunkel bis hin zu gesättigten Farben. Jacob spielt mit den Ausdrucksmöglichkeiten von kräftigen Linienzeichnungen, hat aber auch offensichtlich Freude an der malerisch-gestischen Entstehung von Bildern. Milchige, schleierhafte Farbschichten verwirren die Grenzen zwischen Innen und Aussen und verleihen ihren Figuren eine zweite Haut. Diese Mehrdeutigkeit zeigt sich in anderen Arbeiten durch das Verschmelzen von Gesicht und Körper.
Jeanne Jacob ist 1994 in Neuenburg geboren, sie lebt und arbeitet in Biel. Nach dem Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Biel (2014) hat sie ihren Bachelor of Fine Arts an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern absolviert, wo sie für ihre Diplomarbeit (2019) mit dem Förderpreis der Zeugindesign-Stiftung ausgezeichnet wurde. Jeanne Jacob stellte an verschiedenen Pornofestivals aus: an der «Lust_Art» des Luststreifen in Basel und am queerfeministischen Pornofestival Schamlos! in Bern. Im Februar 2020 präsentierte sie im Rahmen von the Queer Archive in der Breeder Gallery in Athen eine Soloausstellung mit dem Titel «Looking for Love», in welcher sie romantische Vorlieben und Standards thematisierte. Im Sommer 2020 wurde Jeanne Jacob eingeladen, in der Ausstellung Kaléidoscope auf ausgewählte Werke aus der Kunsthaus-Sammlung Pasquart zu reagieren. Mit Mirjam Ayla Zürcher realisierte sie ein Projekt als Duo: «J’ai des privilèges, donc je peux», eine Installation mit Text und Video, die im Oktober 2020 in der Kunsthalle Luzern gezeigt wurde.
Mit dem Prix Kunstverein 2020 erhält Jeanne Jacob einen Unterstützungsbeitrag über CHF 5000 für die Entwicklung ihrer Arbeit.
Text: Felicity Lunn, Direktorin Kunsthaus Pasquart
Jeanne Jacob nimmt Teil an der Aktion «artist takeover» unseres Instagram-Accounts:
#artisttakeover am 10.3.2021