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Esther van der Bie

31.1.2016-10.4.2016

Die Fotografin und Installationskünstlerin Esther van der Bie (*1962, CH) realisiert mit der Präsentation im Kunsthaus Pasquart ihre umfangreichste institutionelle Einzelausstellung bisher. Eine Serie neuer Werke hinterfragt den Bezug der Menschen zur Natur und ihre Weltanschauungen, die daraus hervorgehen. Mit Fotografien, Videos und Installationen untersucht die Künstlerin ethische Haltungen und ökologische Phänomene. Die Ausstellung spannt ein Netz zwischen globalen, kollektiven Herausforderungen und subjektiven Bestrebungen. Beleuchtet werden Aspekte wie Kontrollbegehren oder Abhängigkeit, die in Verbindung zu existenziellen Ängsten stehen. Idealisierung und Romantisierung wiederum zeigt sich oft im urbanen, trendorientierten Gartenbau, während sich im individuellen Streben nach Heilung und Wohlbefinden spirituelle Sehnsucht spiegelt. Eine zentrale Arbeit ist der Film Die Rückeroberung, 2015 der die Geschichte eines exilierenden, vor der Schweizer Forstwirtschaft flüchtenden Baums erzählt. Ein edler Porzellanbonsai, ein Park aus Plastikrohren sowie eine vibrierende Stadtlandschaft ergänzen das Spannungsfeld des Ausstellungsparcours. Die Künstlerin schafft eine Ästhetik der Natur, die teils ironisch, teils kritisch das Bewusstsein für die Rolle der Natur in unserer Gesellschaft schärft.

Es sind ökologische Herausforderungen von weltweitem Ausmass sowie die Wechselseitigkeit zwischen Individuen und der Natur, die Esther van der Bies künstlerischen Recherchen antreiben.

Ihr Bezug zur japanischen Kultur wird in der Arbeit Tōkaidō, 2015 ersichtlich. Ein sieben Meter langes fotografisches Leporello und Die 53 Stationen des Tōkaidō, welches Utagawa Hiroshige im 19. Jahrhundert entwarf, werden gemeinsam gezeigt. Beide Bilderserien zeigen Japans Handelsroute zwischen der Wirtschaftsmetropole Tokio und dem einstigen Regierungssitz Kyoto. Die Zusammenstellung historischer und gegenwärtiger Repräsentationen lassen ein Spannungsfeld zwischen der idealisierten Landschaft und der unbeschönigten Wirklichkeit entstehen. Für die Klanginstallation Im Wald, 2005 verwendet die Künstlerin Regenrinnen, die sie in Baum-Skulpturen transformiert. Eine Klangkomposition ergänzt die zu einer Parklandschaft angeordneten Baumgruppen um Laute zwitschernder Vögel, die scheinbar eine Party veranstalten.

Die fünf Fotografien der Werkgruppe Das Bäumchen, 2010 (fortlaufend) thematisieren Fragen der Tarnung und der Angleichung an die Natur. Die Betrachtenden werden beim Film Die Rückeroberung, 2015 auf eine Reise mit einem Bäumchen mitgenommen, das in der Schweiz der Kettensäge eines Försters entflieht und sich auf die Suche nach einem sicheren Ort macht. Das Bäumchen streift durch die besiedelte Welt und erreicht letztlich Island. Während der Reise trifft es auf Baumstammwerfer, debattiert mit einem Philosophen über Kosmologien und Ontologien und befragt einen Weihnachtsbaumverkäufer. Scharfsinnig und humorvoll führt uns der Protagonist – das Bäumchen als menschlich agierendes Fabelwesen – in eine Welt der Systeme ein, die sich die Menschen aufgebaut haben.

Die Erwartung der Menschen an die Natur macht sie zur Projektionsfläche der Selbstreflexion und Rückbesinnung. Das Werk In the Nature of #2, 2015 greift diese Ansichten auf, indem die Künstlerin in einem Raum zwei Fotografien wuchernder Pflanzen einander gegenüberstellt. Das eine Bild ist hinter Weissglas aufgezogen, das andere auf Spiegelglas gedruckt, wodurch die Betrachdenden durch die Reflexion in das Bild integriert werden. Das „Urban Gardening“ verspricht umweltbewussten StadtbewohnerInnen scheinbare Nachhaltigkeit und ermöglicht die Begrünung des urbanen Raums. Mit leiser Ironie verarbeiten die Werke Brave New Garden, 2015 und Secret Garden, 2015 naturbezogene Trends. Eine Projektion gibt einen regen WhatsApp-Verkehr der MieterInnen eines Hochhauses wieder, die das Projekt eines gemeinsamen Gartens diskutieren. Dem gegenüber steht der aus Porzellan gegossene Bonsai als Verweis auf eine gelenkte, kontrollierte, und auch idealisierte Natur.

Die Werke aus der Reihe Nach Hiroshige, 2015 sind auf Japanpapier gedruckte Bilder, die der Frage nachgehen, ob es möglich ist, die japanische Gegenwart fotografisch so einzufangen, dass sie in Komposition und Raumwahrnehmung den traditionellen ukiyo-e Drucken entsprechen. Mit einem Augenzwinkern zeigt uns die Arbeit In the Nature of #3, 2015 dass das vermeintlich Wilde im urbanen Raum geschützt werden muss. Die Einzäunung eines überbordenden Blumenfeldes im Grossstadtraum ist das Motiv der Fotografie, welche von einem Gartenzaun abermals „gerahmt“ wird. In the Nature of #1, 2015 ist eine grossformatige Farbfotografie, die ein Rack wiedergibt, welches im „Vertical Gardening“ eingesetzt wird. Es handelt sich dabei um eine derzeit propagierte Anbauform, die als Verheissung für eine gesicherte Zukunft angepriesen wird. Die Grösse und diffuse Präsenz des Bildes unterstreichen die ambivalenten Zukunftsversprechungen. Die Megalopolis Tokio und Umgebung bilden die Ausgangslage für eine umfangreiche fotografische Recherche, die im Werk Die Verdichtung, 2015 ihren Abschluss findet. Eine Stadtlandschaft mit Elektrobäumen, Gebirgen und Schluchten aus Beton ist auf der grossformatigen Collage zu sehen und verdeutlicht die menschlichen Akkumulationen. Die Installation Stirb autark, 2015, die aus einem Häuschen besteht, in dem Pflanzen wachsen und eine Liege platziert ist, kann als kritischer Kommentar zu den Weltuntergangszenarien der Verschwörungstheoretiker gelesen werden.

Die Werke der Ausstellung verknüpfen prekäre Themen wie Ressourcenknappheit, Klimawandel oder Überbevölkerung mit verschiedenen Systemansätzen. Sie führen uns die Absurdität im Umgang mit der scheinbar gezähmten Natur in unserer Gesellschaft vor Augen und hinterfragen die Natur als Ort der Selbstreflexion.

Esther van der Bie, Ausstellungsansichten / vues d’exposition / exhibition views Kunsthaus Centre d’art Pasquart 2016
Fotos / Photos: Esther van der Bie.
Kuratorin der Ausstellung: Felicity Lunn, Direktorin Kunsthaus Pasquart