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Michael Sailstorfer

5.7.2015-13.9.2015

Michael Sailstorfer (*1979, DE) gilt als einer der wichtigsten Vertreter einer jungen Generation von deutschen Konzept- und Installationskünstlern. Mit seinem unerschöpflichen Einfallsreichtum gelingt es ihm, den Skulpturbegriff immer wieder aufs Neue zu aktualisieren und in gesellschaftsrelevanten Zusammenhängen zu verorten. Charakteristisch für sein Schaffen ist die Übersetzung von Artefakten aus dem Alltag in Werke, welche die Übergänge zwischen Klang und Materialität, Metaphysik und Körperlichkeit erfahrbar machen. Im Kunsthaus CentrePasquArt realisiert der international anerkannte Künstler seine erste institutionelle Einzelausstellung in der Schweiz. Akustischer und skulpturaler Leitfaden der Ausstellung bildet ein Schlagzeug, das in seine einzelnen Instrumente zergliedert über die Räume verteilt ist. Die Klangspuren eines Schlagzeugsolos werden auf jedem dieser Schlaginstrumente synchron wiedergegeben. Diese Klanginstallation wird durch eine Serie archaisch anmutender Masken, raumfüllende Installationen aus Schläuchen von LKW-Reifen sowie einen Film ergänzt und begleitet mit ihrem Rhythmus die Besuchenden durch die Räume. Der Ausstellungskomplex wird zur körperlichen Erfahrung und verweist auf das Umdeutungspotenzial der Dinge, die uns im Leben umgeben.

Für das ortsspezifische Werk D.A.V.E.L.O.M.B.A.R.D.O., 2015 werden die einzelnen Schlagzeug-Komponenten, wie das Hi-Hat, die Becken oder die Tomtoms, über die Räume der Galerien, des Parkett 1 und des Treppenhauses verteilt. Auf dem zerstückelten Schlagzeug wird anhand einer technischen Vorrichtung jede einzelne Klangspur eines Schlagzeugsolos simultan wiedergegeben. Das Musikstück entwendet Michael Sailstorfer dem US-amerikanische Schlagzeuger Dave Lombardo. Der Musiker kubanischer Abstammung wurde als Gründungsmitglied der genrebildenden Thrash-Metal-Band Slayer bekannt. Die Gruppe entstand 1981 und gilt als eine der einflussreichsten Metal-Bands. Ihr Stil zeichnete sich durch ein abwechslungsreiches Spiel, rhythmische Gitarrenriffs und ein provokatives Image, das mit okkulten Symbolen arbeitete, aus. Die Fragmentierung des Schlagzeugs, diese Zerteilung einer symbiotischen Einheit, hat zur Folge, dass das Musikstück nie als Einheit gehört werden kann. Erst durch die Begehung der Ausstellung und durch die zeitweilige Überlagerung der Klangebenen bekommen die Besuchenden eine Vorstellung des Musikstücks. Die Zergliederung des Schlagzeugs und des Solos bewirken eine Bedeutungsumschichtung und Neuanordnung, in der die Besuchenden in die Rolle des Komplizen gerückt und dadurch Teil des Werks werden.

Die Masken aus Aluminium-, Bronze- oder Eisenguss, welche alle im Jahr 2015 entstanden sind, zeichnen sich durch reduzierte stilistische Merkmale aus. Aufgrund ihres primitiv wirkenden Ausdrucks erinnern sie einerseits an kultische Masken der Naturvölker. Andererseits lassen die Objekte den Vorgang ihrer zeitgenössischen Produktion erkennen. Die Kartonmodelle werden im Sandgussverfahren abgeformt und im jeweiligen Metall gegossen. Sailstorfers Skulpturen spielen mit der Symbolik ursprünglicher Masken wie der Beschwörung von Geistern, dem Schützen vor Dämonen oder dem Ahnenkult. Sie widerspiegeln aber auch eine postapokalyptische Ästhetik. Die Masken erscheinen wie Roboter, die aus Altmetall geschaffen sein könnten. Es entsteht eine Überlagerung einer synthetischen Körperlichkeit und einer archaisch anmutenden Symbolik.

Die Installation Wolken, Biel, 2015 nimmt das Naturelement Wolken als Ausgangspunkt, welches anhand von industriell gefertigten LKW-Schläuchen interpretiert wird. Die raumfüllende Installation beansprucht gleich zwei Räume im Parkett 1 und den Galerien. Das Werk appelliert gleichermassen an die Vorstellungkraft der Besuchenden wie auch an die Idee, dass alle Objekte neben ihrer angewandten Funktion auch andere Erscheinungsformen annehmen können. Die Installation zeigt, dass für Sailstorfers Schaffen der Übergang von Alltagsgegenständen in neue Zustände bezeichnend ist. Durch einfache Eingriffe erhalten Artefakte alternative Bedeutungen und voreingenommene Weltanschauungen können dadurch neu gedacht werden.

Das Werk Solarkatze, 2012 zeigt eine präparierte Katze, die auf einem hohen Sockel installiert ist und wie hypnotisiert in eine über ihr hängende Lichtquelle blickt. Ruhig und statisch thront die Katze über den Augen des Publikums. Das Erhabene der klassischen Statue wird auf eine subtile, humorvolle Art untergraben. Die begehbare Arbeit Teppich, 2013 ist aus Polizeiuniformen angefertigt und hinterfragt Hierarchiestrukturen und die öffentliche Wahrnehmung von Personen, die staatliche Funktionen ausüben. Alle 53 Knochen, die sich in einer Hand und einem Fuss finden lassen, reproduzierte der Künstler für das Werk Hand und Fuss, 2014 aus Gummi und ordnete sie der Grösse nach an. Grundlage des 16mm-Films Lohma, 2008 ist das Sprengen eines Gebäudes aus Wellblech. Dieser Prozess wurde mit einer Hochgeschwindigkeits-Filmkamera eingefangen. Der Film erzeugt den Eindruck, als ob das Haus atmen würde, da wiederholt zu sehen ist, wie sich das Haus bis zu einem bestimmten Volumen ausdehnt und kurz bevor es explodiert, sich wieder zusammenzieht. Die zwölfteilige Fotoserie Antiherbst, 2012 dokumentiert eine Aktion, die die Transformation eines Baumes auf dem Rheindeich nördlich der Hubbrücke Walsum wiedergibt. Als im Frühherbst die ersten Blätter fielen, wurden sie von Sailstorfer eingesammelt, grün lackiert und wieder an den Baum geheftet. Dabei entstand ein unwirklicher Baum, der der Natur, die unaufhaltsam den Herbst und den anschliessenden Winter durchlief, zu trotzen schien.

Das Wesen der Ausstellung von Michael Sailstorfer ist als ein Körper zu verstehen, der sich aus den medial unterschiedlichen Werken zusammensetzt. Sailstorfer hinterfragt nicht nur ein gängiges Skulptur-Verständnis, sondern löst gleichzeitig auch die Grenzen zwischen den einzelnen Arbeiten auf. Eine Diskrepanz wird sichtbar, da die Werke einerseits autark und selbstbestimmend wirken, und andererseits ihren autonomen Anspruch in der Ausstellung aufgeben. In einer Zeit, in der Weltanschauungen ideologisch zementiert werden und sich politische Fronten verhärten, ermöglicht uns der Künstler einen Blick in ein Universum, in dem Wahrnehmungsmuster spielerisch dekonstruiert werden und gegebene Weltbilder ins Wanken geraten können.

Michael Sailstorfer 2015, Ausstellungsansichten / vues d’exposition / exhibition views Kunsthaus Centre d’art Pasquart 2015
Fotos / Photos: P.Christe.
Kurator der Ausstellung; Damian Jurt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Kunsthaus Pasquart