Johannes Kahrs
9 September 2012 – 25 November 2012
Johannes Kahrs
9.9.2012-25.11.2012
Nach zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Europa und Amerika, unter anderem im Kunstverein München, im Museum Kunst Palast Düsseldorf, im Centre Pompidou in Paris oder im San Francisco Museum of Modern Art, präsentiert Johannes Kahrs im Kunsthaus CentrePasquArt seine erste Einzelausstellung in der Schweiz. Kahrs fotografiert, zeichnet und arbeitet mit Videos, die Malerei bleibt aber sein Hauptmedium. In der Ausstellung im CentrePasquArt wird eine Auswahl von Bildern gezeigt, die allesamt in den letzten zehn Jahren entstanden sind.
Basierend auf vorgefundenen oder selbst fotografierten Vorlagen schafft der Künstler Ölbilder und Zeichnungen mit Kohle und Pastell auf Papier. Weit entfernt von fotorealistischen Tendenzen übersetzt Kahrs die Bilder und interpretiert sie neu. Auf der Suche nach einem überzeugenden Motiv fotokopiert, redigiert und verschiebt der Künstler die Fotografien teilweise unzählige Male. Zwar bleibt dem Betrachter nicht verborgen, dass der Künstler von Fotografien ausgeht, allerdings wird das Dargestellte durch die Wahl des Bildausschnittes, den gezielten Einsatz von Licht sowie durch Torsion und Unschärfe teilweise bis an die Grenzen der Unkenntlichkeit aufgelöst. Durch die Übertragung von einem Medium in ein anderes werden die Szenen nicht nur verfremdet, sondern auch umgewertet. Da die Motive aus dem ursprünglichen Kontext herausgelöst worden sind und die dahinter stehende Geschichte nur erahnt werden kann, erlangen die dargestellten Szenen eine enorme Präsenz, wobei sie gleichzeitig mysteriös und geisterhaft bleiben. Die Unbehaglichkeit, die von den Werken ausgeht, wird noch verstärkt durch die schmutzigen, düsteren Farbtöne und die künstlichen, zum Teil schwer durchschaubaren Lichtsituationen. Auch wenn Kahrs oft dunkle Szenen und Objekte malt, spielt das Licht in seiner Malerei eine zentrale Rolle. Wie Flämische Stilllebenmaler, die Glasgefässe, Kelche und glänzende Insekten gemalt haben, um Lichtphänomene darstellen zu können, wählt auch er Materialien, deren Oberflächen sich besonders für die Reflexion von Licht eignen. Nicht nur das Licht, dessen Quelle oft schwer zu eruieren ist, sondern auch die Perspektive verwirrt und beunruhigt. So zum Beispiel wenn kleine Gegenstände – wie die Mausefalle in Untitled (trap) (2012) – von unten dargestellt werden und dem Betrachter dadurch ein eigenartiges Raumgefühl vermittelt wird.
Obwohl die Auswahl des Bildausschnittes im Transformationsprozess der Bildvorlage von elementarer Bedeutung ist, betont Kahrs, dass ihn akademische Begriffe wie derjenige der Komposition nicht interessieren, weil er nicht den Eindruck vermitteln will, dass er das Bild kontrolliert. Kahrs versteht den Malprozess vielmehr als Suche nach Bildern, als eine Art Reaktion auf bereits existierende Vorlagen. Dass diese Reaktion zu unterschiedlichen Resultaten führen kann, äussert sich unter anderem dadurch, dass einige Szenen mehrmals, aber aus einer leicht anderen Perspektive gemalt werden.
Die von Kahrs sorgfältig ausgewählten Bildvorlagen greifen Themen aus unterschiedlichen Bereichen auf. So tauchen Bilder aus der Welt der Politik genauso auf wie solche aus dem Show-Business oder der Werbung. Kahrs scheut sich nicht vor Extremen: Sex, Gewalt und Drogen sind keineswegs Tabu. Seine Malerei ist immer psychologisch – die Bilder sind Begegnungen, an denen der Betrachter teilnimmt, traumhafte Momente oder intime Einblicke, die oft mit Leiden zu tun haben. Doch nicht nur in Bezug auf die Themenwahl ist das Werk vielfältig, auch in Bezug auf die gewählten Motive. Von zentralem Interesse ist der menschliche Körper. Immer wieder malt er Nahaufnahmen von teilweise geschundenen Körperfragmenten, die sich bisweilen erst auf den zweiten Blick identifizieren lassen. Besonders interessiert sich der Künstler für Hände und Füsse. Wie kaum ein anderer Körperteil erzählen Hände und Füsse die Geschichte eines Menschen, sie sind so individuell wie das Gesicht und faszinieren aufgrund ihrer Vielfältigkeit. Wenn der Körper, oder genauer gesagt das Körperliche an und für sich in Johannes Kahrs Werk eine wichtige Rolle spielt, bedeutet dies keinesfalls, dass er sich auf die Darstellung des Körpers beschränkt. Während sich Kahrs schon seit längerer Zeit mit Interieurs beschäftigt, malt er in letzter Zeit auch vermehrt Stillleben, so zum Beispiel Blumen. Doch auch diese verfügen aufgrund ihrer fleischlichen Formen und Farben über eine körperliche Komponente, die sogar stärker ist als bei Bildern, die tatsächlich Körperteile zeigen. Obwohl Kahrs seine Motive vermeintlich der Wirklichkeit entnimmt, geht es ihm immer auch um die Frage nach der Kraft der Illusion, um die Trennlinie zwischen Realität und Fiktion. So führt er den Betrachter bewusst hinters Licht, wenn er blutrünstige Szenen malt, die schockierend echt wirken, aber in Wirklichkeit aus einem Film stammen und sich herausstellt, dass das Blut nichts als Ketchup und die scheinbar verwesten Körperteile zu einer Pietà aus grünem Marmor gehören.
Kuratorin der Ausstellung: Felicity Lunn, Direktorin CentrePasquArt Biel
Publikation: Zur Ausstellung ist eine reich bebilderte Publikation (dt/fr/en) mit einem Text von Ulrich Loock erschienen.